Kanada: Wo steht der Kampf der LGBT heute?

Die Rechte von LGBT-Menschen (Lesben, Homosexuelle, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, etc.) haben in den meisten westlichen Ländern seit den 60er Jahren große Fortschritte gemacht. Wohlgemerkt, diese Fortschritte wurden nicht durch den Liberalismus oder eine Offenheit seitens der herrschenden Klasse erzielt, sondern dank der intensiven Kämpfe der Homosexuellenbewegung. Der revolutionäre Aufschwung der 60er Jahre trug zur Entstehung des Kampfes gegen die Apartheid, die nationale Unterdrückung, die Unterdrückung von Frauen und die Unterdrückung der sexuellen Minderheiten bei.

So wurde im Jahr 1969 in Kanada unter Premierminister Pierre Elliott Trudeau (dem Vater des jetzigen Premierminister Justin Trudeau) das Omnibus Bill zur Entkriminalisierung der Homosexualität beschlossen. Es verfügte, dass der Staat in den Schlafzimmern der Menschen nichts verloren hatte. Eine liberale Philosophie, die dennoch eine Verbesserung gegenüber der drückenden katholischen Moral bedeutete, die in dieser Zeit in Quebec noch allgegenwärtig war. In Frankreich musste man auf die komplette Entkriminalisierung der Homosexualität bis 1982 und die Präsidentschaft Mitterrands (PS) warten. Im Gegensatz dazu wurde in Russland 1922 nach der Revolution unter Führung der bolschewistischen Partei von Lenin und Trotzki von der Räteregierung die Homosexualität entkriminalisiert (Stalin hat diese Maßnahme am Höhepunkt der bürokratischen Konterrevolution im Jahr 1934 zurückgenommen).

Die Dominanz der katholischen Kirche in Quebec erklärt die Verzögerung in „La Belle Province“, weil sie die Unterdrückung von Frauen, Jugendlichen und sexuellen Minderheiten aufrecht hielten. Homosexualität und Transsexualität wurden als moralische Abweichung und Gefahren für die traditionellen Werte der Familie wahrgenommen. Frauen, die außerehelich schwanger wurden, wurden gemobbt. Es gab also ein sehr starke Unterdrückung gegen alle, die von der katholischen Moral abwichen (selbstverständlich mit Ausnahme der Kapitalisten und Priester). Die herrschende Klasse Quebecs, die eng mit der katholischen Kirche verbunden war, nutzte die Gelegenheit, sexuelle Minderheiten als Sündenböcke zu benutzen, um die Arbeiterklasse zu spalten.

Die „Stille Revolution“ der 60er Jahre erschütterte die Macht der katholischen Geistlichkeit heftig und begünstigte eine Lockerung der Sitten, von der die Homosexuellen profitierten. Homosexuelle Aktivisten gründeten, im Gefolge der Gründung der „Homosexuellen Front zur revolutionären Aktion” im Februar 1971 in Frankreich und der Vancouver Gay Liberation Front (Oktober 1970), im März 1971 die „Homosexuelle Befreiungsfront” (FLH).

Die Polizei und die kanadische Justiz zerschlugen die FLH sehr schnell. Die Entkriminalisierung der Homosexualität bereitete der Belästigung von Homosexuellen durch die Polizei kein Ende. Die Razzia, die in Montreal bei Truxxx Bar am 21. Oktober 1977 stattfand, markierte einen Wendepunkt im Kampf um die Rechte der Homosexuellen.

In dieser Nacht nahmen die fünfzig Polizisten, die im Zentrum von Montreal die Bar „Truxxx” stürmten, 220 Verhaftungen vor. Dies war die größte Razzia seit der Krise im Oktober. 143 Personen wurden wegen „grober Unzucht“ und Anwesenheit „in einem Bordell” angeklagt. (Radio-Canada, 20. Oktober 2017)

Die Haltung der Polizei gegenüber Homosexuellen war sehr brutal und spiegelt eine tiefe Verachtung der „Sicherheitskräfte” gegen sexuelle Minderheiten wider. Am 5. Februar 1981 wurden 304 Personen in verschiedenen Saunen Torontos verhaftet und ihre Namen in der Presse veröffentlicht. Daraufhin fanden in der Stadt Demonstrationen statt. Am 28. Juni organisierten Aktivisten die erste Gay-Pride Parade in der Stadt. Die Razzien gegen das „Buds” 1984 und das „Katacombes” 1994 lösten in Montreal ebenfalls große Proteste aus.

In den späten 1980er Jahren mobilisierte die „Gay Pride“ gegen AIDS und dehnte sich auf die Lesben aus. Seitdem organisieren jedes Jahr LGBT-Organisationen einen „Gay-Pride-March“ in Montreal, um ihre Forderungen zu erheben und sich Sichtbarkeit zu machen. Die verschiedenen bürgerlichen Parteien sind zu dieser Veranstaltung eingeladen und nutzen die Gelegenheit, politisches Kapital daraus zu schlagen, indem sie ihre „Offenheit“ und ihren „Freigeist“ zur Schau stellen. Die Pride Parade ist seit langem ihres widerständischen und fordernden Geistes beraubt und wurde durch die Teilnahme von Vertretern der bürgerlichen Parteien und des Kapitals ein kommerzielles Fest. So gibt es eine starke Präsenz von Banken und multinationalen Unternehmen, die Sponsoren der Gay Pride sind. Der Premierminister eines Staates, der Tausende von Migranten abschiebt und Arbeiterstreiks beschränkt, nützt die Gelegenheit, um fortschrittlich zu erscheinen. Er nahm am Gay Pride Marsch in Montreal am 19. August und vorher an der Vancouver Pride Parade am 5. August teil.

Am Sonntagnachmittag marschierten Tausende von Menschen in die Innenstadt, um an der jährlichen Vancouver Pride Parade teilzunehmen. In diesem Jahr gab es einen besonderen Gast unter den Festwägen und Tänzern: Justin Trudeau. (Daily Hive, 5. August 2018)

In westlichen Ländern erleben wir seit einigen Jahrzehnten eine kapitalistische Einverleibung der Homosexualität und aller Formen sexueller Vielfalt. Die herrschende Klasse hat die Vorteile der Integration sexueller Minderheiten erkannt, indem sie die Kommerzialisierung der sexuellen Vielfalt großflächig fördert. LGBT-Paraden werden von wohlhabenden weißen Männern dominiert, die nur an die Rentabilität ihrer Veranstaltungen denken.

Die Mehrheit der LGBT-Verbände werden zunehmend in den Kapitalismus integriert. Ihre Strategie besteht darin, bürgerliche Politiker dazu zu drängen, ihren Bittschriften nachzukommen. Die Verbindungen zur Arbeiterbewegung sind heute sehr schwach, sofern überhaupt noch vorhanden. Wir sind weit entfernt von der Zeit, als die britische Organisation „Lesbians and Gays Support the Miners” in elf Städten den Bergarbeiterstreik gegen die konservative Regierung von Margaret Thatcher unterstützt und Geld für sie gesammelt hatte (siehe den Film „Pride, ein unwahrscheinliches Treffen”). Die Niederlage der Bergleute demoralisierte die Arbeiterklasse und war auch für die Homosexuellenbewegung politisch und ideologisch ein Rückschlag.

Das CoReP verteidigt die traditionellen, d.h. patriarchalen, Familieninstitutionen nicht. Es fördert aber auch keine Illusionen in den angeblich progressiven Charakter der gleichgeschlechtlichen Ehe. Wir verurteilen jedoch nachdrücklich das Aufheulen reaktionärer und obskurantistischer Kräfte gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen und Heterosexuellen.

Homophobie innerhalb der Arbeiterklasse kommt nur der Bourgeoisie zugute und schwächt den Klassenkampf. Das Kollektiv Permanente Revolution (CoReP) unterstützt nachdrücklich den Kampf gegen Homophobie und für die Rechte von LGBT-Menschen. Wir unterstützen den Kampf um das Recht auf Ehe, gleichgeschlechtliche Erziehung und medizinisch unterstützte Fortpflanzung als demokratische Forderungen.

Eine revolutionäre und internationalistische Arbeiterpartei muss ein Volkstribun sein und alle vom kapitalistischen System Unterdrückten verteidigen, seien es nationale Minderheiten, Frauen, Einwanderer, LGBT usw. Bewusste Arbeiter müssen an den Kämpfen der LGBT-Menschen teilnehmen, um die Kontrolle der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums über diese grundlegenden Kämpfe zu brechen. Alle Kämpfe für demokratische Rechte müssen mit der Perspektive der proletarischen Revolution und des Sturzes der kapitalistischen Produktionsweise und aller damit einhergehenden Formen der Unterdrückung geführt werden.

Montreal, 11. Oktober 2018, Korrespondent